Malkontent & Enthusiastisch

»Ihr naht Euch wieder, schwankende Gestalten«

Ganz schön dicht, die Kommentare. Also – im rein inhaltlichen Sinne. Ich habe noch mal alle durchgelesen. Da fällt es nicht leicht, all die verschiedenen Gedankengänge und Einwände unter einen Hut zu kriegen. Vielleicht ist es sinnvoller am originalen Text zu bleiben und die, meiner Meinung nach, maßgeblichen Gedanken hinsichtlich der Reproduktionsthese kurz zu skizzieren und hier und da ein wenig tiefergehend zu erläutern.

Rauterberg nimmt sich die neuen Multimedia Mobiles vor mit denen man überall knipsen und die Bilder anschließenden versenden kann. Ganz praktisch bedeutet dies doch, dass mittlerweile wirklich überall und alles dokumentiert werden kann (zumindest potentiell, nicht jeder hat so ein Telefon oder eine digitale Videokamera). Vielleicht ist es an dieser Stelle nicht ganz korrekt mit Benjamins Reproduktionsthese zu argumentieren. Immerhin meint der die technische (mediale) Reproduktion von Kunstwerken und nicht die Reproduktion der kompletten Gegenwart. Die ist gewiss kein Kunstwerk und auch nicht zwangsläufig auratisch. Lassen wir aber den Gedanken zu. Vielleicht will er den Gedanken mit dem Beispiel der Hochzeit nahe legen. Ich hoffe zumindest, dass meine Hochzeit ein irgendwie auratisches Erlebnis wird!

Noch einmal das passenden Zitat Rauterbergs: „Könnte es Schöneres geben für einen, der süchtig ist nach Rückkopplung (dem Kontakt zu den ebenfalls mobilen Mitmenschen)? Der keinem Ort verhaftet ist und daher die Nähe in der Ferne sucht?“ (…) „Paradoxerweise wird dies Bedürfnis nach Anbindung gerade von der digitalen Fototechnik verstärkt, sie zertrümmert unser Gefühl für die Jetztzeit noch weiter.“

Ort, Ferne und Nähe sowie Zertrümmerung und vielleicht auch Jetztzeit sind recht starke benjaminische Begriffe. Zumindest in diesem Kontext. Wenn immer mehr Möglichkeiten bestehen, die Jetztzeit in irgendeiner Form (hier per Fotofon) fest zu halten oder ständig mit dem LCD-Bildschirm der Videokamera vor dem Auge herumlaufen, dann ist die Gegenwart gewissermaßen noch schneller Vergangenheit (also die Vergangenheit, das Archiv, das mit solchen Techniken geschaffen wird). Wenn Pepe mit ihrem Fotofon ein Foto von der blau-weißen Hertha Zahnspange schickt, dann such ich gewissermaßen die Näher der Berliner Zahnspangen-Ferne. Wenn man das für Deutschland mit 20 Millionen Fotofonen multipliziert und das Ganze auf 24/7 hochrechnet wird das Ganze doch schon anschaulicher (Der Gedanke, nicht die Spange). Wer guckt da noch rechts und links? Oder wer erlebt da noch wirklich die tatsächliche Hochzeit?
Um zu Benjamin zurück zu kommen: Die Hochzeit wird zertrümmert. Das ursprüngliche, einmalige Erlebnis wird x-fach dokumentiert, um es genau damit zu zertrümmern. Auraverlust. Für die Hochzeit doof. Für die, die es interessiert und die nicht dabei sind: Ein Segen. Würde Benjamin zumindest sagen.