Peter Müller am vergangenen Sonntag in einem Saabrücker Theater:
- Es kann ein Spannungsverhältnis entstehen zwischen subjektiver Wahrheit und Mehrheit. Politik hat deshalb das Ziel der Versöhnung von Wahrheit und Mehrheit. Um dies zu erreichen, braucht sie Aufmerksamkeit, und Aufmerksamkeit wird auch durch theatralische Darstellung erreicht. Sind Politiker deshalb Schauspieler? Natürlich sind sie es, und diese Feststellung beinhaltet kein Werturteil.
Damit wir wissen, warum es hier geht.
- Die Tatsache, dass Politiker Schauspieler sind, kann sowohl positiv als auch negativ sein. Sie ist positiv, wenn es dem Politiker wie einem Schauspieler darum geht, Kontakt aufzunehmen zu seinem Publikum, den Wählerinnen und Wählern, um deren Wünsche zu erkennen und sich mit ihnen auseinander zu setzen. Politik hat die Aufgabe, wie Martin Luther es gesagt hat, dem „Volk aufs Maul“ zu schauen. Negativ wird diese Forderung, sich auf das Publikum einzulassen, in dem Moment, in dem der Politiker schauspielerische Elemente einsetzt, um von seinen Inhalten abzulenken. Negativ ist die schauspielerische Tätigkeit des Politikers, wenn er jedem zum Gefallen sein will, ohne deutlich zu machen, wofür er wirklich einsteht.
Dann, Herr Müller, haben wir uns am vergangenen Freitag tatsächlich an schauspielerischen Talenten erfreuen können. Es handelt sich also um negatives Schauspiel, nicht um legitimes.
- Politiker dürfen nicht selbstgerecht und unnahbar werden. Sie müssen aber auch die Tendenz zum zynischen Populismus unterdrücken, die sehr schnell entstehen kann und die möglicherweise kurzfristig zu Wahlerfolgen führt.
In der Tat. Die Reaktion auf zynischen Populismus ist ein zynisches Populus sein.
- Ist Politik also Theater? Ja, Politik ist Theater. Aber auch dieser Umstand ist weder gut noch schlecht. So lange das politische Theater einen Beitrag dazu leistet, Aufmerksamkeit zu erreichen für die vertretenen Inhalte, ist das politische Theater gut. Es ist schlecht, wenn dadurch von den Inhalten abgelenkt werden soll. Ohne Theater kann in dieser Gesellschaft keine erfolgreiche Politik gestalten werden. Wir leben in einer Kommunikationsgesellschaft, und diese Kommunikationsgesellschaft folgt klaren Kategorien. Ich will sie zitieren, so wie sie der Kommunikationsphilosoph Vilem Flusser definiert hat. Erste Kategorie, erster Hauptsatz: „Was nicht kommuniziert wird, ist nicht, und je mehr es kommuniziert wird, desto mehr ist es.“ Zweiter Hauptsatz: „Alles, was kommuniziert wird, ist etwas wert, und je mehr es kommuniziert wird, desto wertvoller ist es.“
Flusser hätte ich hier nicht erwartet. Ich fürchte, er wird da vor einen Karren gespannt… Ich prüfe mal, in welchem Zusammenhang das Zitat zu verorten ist.