Malkontent & Enthusiastisch

»Ihr naht Euch wieder, schwankende Gestalten«

Ein Videoprojekt zieht mich gen Basel und zeigt sich dafür verantwortlich, dass ich, obwohl Karneval in deutschen Landen längst passe ist, um den organisiserten Frohsinn nicht herumkomme. Aber da in der Schweiz eh` vieles so ganz anders ist, lässt sich das dortige Fassnachtstreiben durchaus ertragen. Zudem gibt es in Basel und im deutschen Grenzgebiet schöne Sitten und Bräuche, die an dieser Stelle Erwähnung finden sollen.

Feurig geht es vor allem in Liestal (sprich Lieschtel) zu, wo abends Trommler und Flöter riesige Feuer ankündigen, die auf stählernen Wagen lodern die durch die Altstadt gezogen werden. Tausende, die am Rand stehen (wahrscheinlich sind in der ersten Reihe nur unwissende Touristen zu finden) verbrennen sich den Pony und die Nase, wenn die brennenden Gefährte auch nur in ihre Nähe kommen. Die Feuerwehr steht dabei Spalier und äugt ein wenig misstrauisch auf die Fassaden der Altstadt, denn die Flammen der größten Wagen schlagen gut und gerne 10 Meter hoch und räuchern so manche Wohnung nachhaltig ein. Zwischen den Wagen laufen immer wieder dick vermummte Schweizer mit den Chienbäsen, die dem Brauch den Namen geben, umher. Chienbäse sind mitteldicke Stämme, die über der Schulter getragen werden und an deren Ende Holzscheite befestigt sind, sodass sie an einen riesigen hölzernen Pinsel erinnern. Ab und zu machen sich die Besenträger einen Spass, beginnen zu rennen und sich gefährlich schnell zu drehen, dass die Funken stieben und die Glut in bester Grillmanier nochmal richtig durchheizt. Ich bin gespannt auf die Fotos, die hier demnächst bestimmt zu sehen sind.

An eine primitive Driving Ranch fühlt man sich hingegen erinnert, wenn man die Grenze nach Deutschland passiert und einen der Lörracher Hausberge erklimmt. Dort brennen zur Fasnacht riesige Feuer – unabdingbar, um ein echtes Feuerscheibenschießen zu veranstalten. Wie gesagt, es handelt sich scheinbar um den uralten Vorläufer einer modernen Driving Ranch. Wir befinden uns also auf einer hanglagigen Wiese. Ein Pfosten und eine darauf befestigte Bohle bilden ein Rampe, die hangabwärts gerichtet ist. Dies ist der Abschlag. Zuvor nimmt man eine Feuerscheibe, etwas vereinfacht gesagt, ein zentimeterstarker, hölzerner Biedeckel. In der Mitte mit einer Bohrung versehen. Die Feuerscheibe wird mit dem Loch auf eine etwa zwei Meter lange Weidenrute gesteckt. Gerade so, dass vielleicht die obersten zwei, drei Zentimeter der Rute durch in der Bohrung stecken. Anschließend hält man Rute samt Scheibe ins Feuer bis sie zu brennen beginnt. Man nimmt sie heraus und stellt sich neben die Rampe, visiert so, dass die glühende Scheibe, durch die Rute geschwungen, mittig auf die Rampe trifft. Wenn man die Rampe optimal trifft löst sich die Scheibe und fliegt wirbelnd gen Tal. Und sie fliegt weit, wirklich weit. Gute 150 Meter sind bestimmt keine Übertreibung. Ein irres Bild wenn gleichzeitig auf fünf Rampen angeschlagen wird.

Mittlerweile ist es halb eins in der Nacht, man riecht wie ein Räucherschinken, ist stundenlang auf den Beinen und die Basler Fassnacht hat noch nicht einmal begonnen. Die beginnt nämlich mit dem Morgenstraich um Schlag vier in der Nacht. Wir finden uns also auf dem zentralen Markplatz ein und um uns das Warten zu verkürzen haben die Stadtwerke ein Einsehen und schalten die komplette öffentliche Beleuchtung ab – eine Minute zu früh, wie der Baslerstab mitteilt. Aha. Jetzt ist allerdings eh` alles egal, denn ab nun sind eigentlich nur die typischen Pfeiffer und Trommler zu hören, die vollkommen chaotisch durch die Gassen ziehen. Dabei achten sie genau darauf immer Gegenverkehr zu haben, was bei den anwesenden Menschenmassen die Sache und das freie Bewegen nicht gerade erleichtert. Stil hat der Morgenstraich auf alle Fälle. Die Gruppen sind wirklich toll verkleidet. Die einzige Beleuchtung in der völlig dunklen Altstadt sitzt auf den maskenverkleideten Köpfen der Musikanten, von denen jeder eine Art Lampion auf dem Kopf trägt. Sehr schön, sehr gespenstig.

Unsere Nacht endet so gegen sechs/ halb sieben. Zuvor überhitzt von zuviel Feuer ringsum, nun mit erfrorenen Füßen. Endlich ein Bett aber nur wenige Stunden Schlaf, denn traditionelle Umzüge gibt`s auch in Basel. Also: raus aus der Schweiz, rein in die Schweiz. Mittags um zwei wieder auf dem Markt, diesmal etwas höher auf dem Prunkbalkon oberhalb des Mövenpicks. Wir drehen ja `nen Film, da lädt man uns nett ein, um von oben besser zoomen zu können. Dann filmt man so den Umzug und findet eigentlich nur drei Sujets, wie man dort für Mottowagen sagt. Basler Lokalpolitik, Swissair-Pleite und immer wieder grinsende Kiffer-Sujets. Manche freuen sich so über die gewonnene Legalisierung, dass auf dem Motto-Wagen massenhaft Homegrown-Verschnitt verfeuert wird. Lustig und geschmacksintensiv.

Wer den Hals nun noch nicht voll hat stellt sich direkt an den Zug. Pfiffige Schweizer – wer hat`s erfunden? – funktionieren Häckslermaschinen um, montieren sie auf dem Wagen und pusten den Massen kiloweise Konfetti in den Rachen. Unser Hals ist bereits voll. Kameraequipment zusammengepackt, letzte Etappe – Kneipentour. Die nüchternste, die ich je erlebt habe. Ein mittelgroßes Pils für 7 Mark? Lieber nicht. Dafür viel Schbass. Kamerakind und Chefmusiker Hannes jazzt mit seiner Kombo quer durch die Basler Kneipen. Riesen Stimmung und eine nette Abwechslung zu allgegenwärtigen Guggemusig. Mädels hüpfen auf die Tische, die Wirte verteilen Freibier an die Musikanten. Nach der siebenten oder achten Kneipe klink ich mich aus und leg die Beine hoch…