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»Ihr naht Euch wieder, schwankende Gestalten«

    „Microsoft Word hat ein korrupte Datei entdeckt“

Vor mir liegt ein Blatt Papier auf dem mit Bleistift geschriebene Textformatierungen notiert sind. Anmerkungen zum Seitenformat: 4 cm Rand an allen Seiten, Bundsteg = 0 cm, Abstand vom Seitenrand, Kopfzeile = 1,2 cm und Fußzeile = 1,25 cm. Titel = Times New Roman, 18pt, standard, Abstand vor = 0pt, Abstand nach = 6pt. Fußnoten bitte im Blocksatz, 8pt und hängendem Einzug = 0,24 cm.

Moderne Textbearbeitung arbeitet so, wird man mir antworten. Das ist richtig, und ich glaube sagen zu können moderne Textverarbeitung arbeitet vor allem mal so und mal so. Nämlich ganz in Abhängigkeit von Betriebssystem und der verwendeten Software, die vermutlich fast überall Microsoft`s „Word“ sein dürfte. Das Problem, das ich hier darzustellen versuche, offenbart sich momentan nur in einem kartellrechtlichen Verfahren gegen den Gates Konzern. Da scheint sich eine Kraft etabliert zu haben, die den Staat auf den Plan ruft. Man zeigt sich zumindest nicht ganz unberührt von den globalen Machenschaften des Soft- und Hardware Giganten. Allein die bisherigen Ergebnisse dieses Prozesses geben Anlass zu Misstrauen. Liegt es überhaupt im Interesse einer Regierung, die mit dem Silicon Valley die Startrampe ins digitale Business geschaffen haben, dessen berühmtesten Spross zu stutzen? Steht nicht gerade Microsoft für sämtliche „achievements“, nach denen der technologisierte Westen lechzt?

Ich will jetzt nicht im Detail aufzählen, was das nun tatsächlich für Errungenschaften sind. Ich finde es erschreckend zu bemerken, das das worauf sich, berechtigt oder nicht, unsere Hoffnung auf ein digitalisiertes (Arbeits-, Freizeit- ?) Leben gründet einzig und allein von einer Person bzw. einem Unternehmen entwickelt respektive verkauft wird. Wer bestimmt die Standards der gängigen Software? Wer herrscht über die digitalen Codes? Wer sorgt sich darum, das ein heute verfasstes Dokument in 10 oder 20, geschweige denn 200 oder 2000 Jahren noch lesbar ist, wenn es schon morgen bei meinen Arbeitskollegen nicht mehr zu öffnen ist, weil er ein altes Office XY hat?

Das hat nicht nur Relevanz bei Geschäftskorrespondenz, die über Jahre aufgehoben werden muss. Das Digitale wird unser Leben stark verändern, nicht nur die Wirtschaft wird nach digitalen Regeln funktionieren.

Sinnvoll ist auch ein Blick auf die Medien. Auf die Kultur. Unser kollektives und individuelles Gedächtnis speichern wir, wann immer wir können (Die Frage wo wir es speichern stellt sich ja gar nicht mehr. Informationen sind überall erreichbar). Dabei scheinen wir getrieben vom ständig möglichen Systemabsturz, der wie ein Damoklesschwert über allem hängt und denken nicht daran, ob all das abgelegte später einmal entziffert werden kann. Werden sich Soft- und Hardware weiter so rasant entwickeln, wie heute die Versionen von „Word“, dann werden wir wohl erleben, wie unser Wissen zwar überall ist, aber nirgends zu lesen ist. Forscher werden dann versuchen zu entschlüsseln, wie wir wohl gelebt haben, was uns bewegt hat, was unser Antrieb war. Damit tun sie es jenen gleich, die Höhlenmalereien zu dechiffrieren versuchen. Allerdings rätseln sie nicht nach 80.000, sondern nach 80 Jahren.

7 Antworten

  1. Avatar von tim

    Textdateien. Wenn nötig auch noch Markup dazu.Latex bietet sich hier an, sowohl im Quellcode, als auch in der „fertigen“ Version als div bzw. pdf. Aber Word? Ne.

  2. Avatar von Henning

    @ Daniel: Eine Kerze und eine weiße Wand. Das wird sicherlich genügen, um das zu archivieren, was unsere geprägt hat. Aber da Du schon Korrespondenz ansprichst: Werden meine, zugegebenermaßen nicht wichtigen Briefe, i.e. E-Mails, in hundert Jahren noch lesbar sein? Du würdest sagen: Nur, wenn du sie ausdruckst. Seh` ich auch so. Was passiert mit der Kunst, wenn sie digital produziert wird? Kann so etwas überhaupt digital sein? Kann nicht nur analoges dauern?Meine zwischenzeilige Kritik bezieht sich nur indirekt auf die Ästhetik an sich, sondern vielmehr darauf, wie sie gemacht wird. Meine Hypothese, analoges sei dauerhafter, gründet sich auf der Annahme, dass ein „einfacher“ (digitaler) Code nicht das zu leisten vermag, was ein analoger tut.Vielleicht hab`ich aber auch nur zuviel komisch semiotisches gelesen. Aber interessant ist sowas ja allemal, woll?

  3. Avatar von daniel

    woll, das isses. ich habe zwar (noch) nichts komisches Semiotisches gelesen, aber interessant finde ich es allemal. puh, ein abendfüllendes thema, was du da ansprichst.mir kommt da die erschaffung bei der betrachtung fraktaler kunstwerke und auf algorithmen basierender zufallswerke von rechnern in den sinn, die völlig selbständig kunstwerke mit selbstgenierierten, kristallinen formen erschaffen.die programmierer verkaufen das als kunst – ihre leistung lag im mathematischen bereich und natürlich in der auswahl der werke. (namen fallen mir jetzt nicht ein, ich schlage nach)ich bin mir nicht sicher, ob hier eine bestimmte grenze überschritten wird… dass das digitale nämlich nicht nur das analoge in „ja“ und „nein“ transferiert, oder künstlern als werkzeug dient (wie der pinsel auch), sondern dass dem digitalen und plötzlich durch zufallsbestimmtes rechnen mit „ja“ und „nein“ auch das originäre der idee entspringt.das finde ich wirklich spannend… alles andere ist nach meiner meinung transfer und konvertierung, die sich zwar nicht ohne beeinflussung ergeben, aber nur eine frage menschlichen einschreitens sind: backup, ausdruck, lagerung.

  4. Avatar von Henning

    Huah, ich beginne abzuschweifen. Gerne. Das „Originäre der Idee“ hört sich ganz nach dem an, was vor 70 Jahren als „Aura“ in die Charts kam („Das Kunstwerk im Zeitalter…“). Was die Aura ausmacht kann man, glaube ich, nur schwer bestimmen. Ich zitieren mal: „An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgend, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft – das heißt die Aura dieser Berge, dieses Zweiges zu atmen.“ Man kann wohl noch zig solcher Zitate bemühen, ohne endgültige Gewissheit zu haben. Klar wird zumindest (später im Text), dass – wie du schon geschrieben hast – etwas dazwischen geschaltet ist. Etwas modemartiges. Das analoges in elektronisches wandelt. Zu verdeutlichen, dass dabei einiges verloren geht war mein Anliegen. Was mich übrigens am o.g. Text so begeistert ist – wie so oft – die Aktualität. So etwas in den 30er Jahren zu entdecken, das im digitalen Zeitalter dieselbe (noch mehr!?) Relevanz in sich trägt. Das rockt.

  5. Avatar von daniel

    das rockt tatsächlich – und zeigt, dass die welt durch ihre modernität vielleicht doch nicht in völlig unbekannte und bislang unbeschreibbare tiefen vordringt.so geschehen bei piranesi. ein zeichner, der durch seine stadtvisionen vom alten rom die moderne architektur vorwegnahm. kommt mir gerad so in den sinn. für links zu spät und nicht wirklich zum thema passen.aber rock kann ja auch cross-over sein.

  6. Avatar von Henning

    „Aber Word? Ne.“ – Richtig. Aber mir gings weniger um die Anwendung als um das generelle Problem. Wie lange dauert digitales? Ein Buch kann man nach 500 Jahren zwar vorsichtig, aber immerhin noch lesen. Bei elektronischem bin ich mir nicht so sicher…

  7. Avatar von daniel

    das bundesarchiv hat geantwortet. in einem unterirdischen gewölbe, unter meterdickem gestein, eingelassen in menschenmögliche Schutzsysteme lagert dort die gesamte deutsche geschichte: aufgebahrt auf mikrofilm. jedes dokument, jede drucksache. von hitlers unterschrift auf seiner ernennungsurkunde zum reichskanzler bis zu goethes liebeskorrespondenz.und in welcher form? analog! auf mikrofilm abfotographiert und das wird diese unglaubliche leistung wird noch jahre in anspruch nehmen. der grund? der bundesbeauftragte weiß es: im ernstfall reicht eine kerze und eine weiße wand – und die dokumente sind zu dechiffrieren.so mach ich das mit meiner privaten korrespondenz allerdings noch nicht…